Jenaer Frühromantik

Naturforschung

Die romantische Naturforschung – Synthese von Naturforschung, Philosophie und Poesie

"Die Wissenschaften sind nur aus Mangel an Genie und Scharfsinn getrennt...", schreibt Novalis in "Die Encyklopaedie". Ab 1798 beschäftigt er sich damit, eine Totalwissenschaft zu entwerfen. Er versucht, eine Synthese der wissenschaftlichen Disziplinen herzustellen, indem er Analogien zwischen ihnen aufzeigt oder sie miteinander in Verbindung setzt, Mathematik mit Poesie, Musik mit Chemie oder Philosophie mit Astronomie. Mag dieses Vorhaben dem einen oder anderen von Novalis‘ Zeitgenossen auch als Gigantismus erscheinen, ist das Streben nach einem ganzheitlichen Weltverständnis für viele Wissenschaftler im Umkreis der Romantik ein wichtiges Ziel.

Im ausgehenden 18. Jahrhundert werden die Naturwissenschaften in Deutschland besonders durch Philosophen wie Kant und Schelling beeinflusst. Die Naturforscher besitzen fundierte philosophische Kenntnisse und die Philosophen sind mit dem aktuellen Forschungsstand der Naturwissenschaft und der Medizin vertraut. So wird versucht, die Identität von Natur und Geist, die Vereinbarkeit von Physik und Metaphysik nachzuweisen. Vereinzelte Naturerscheinungen sollen Rückschlüsse auf allgemeine Grundlagen der Natur zulassen. Dabei liegen den Kräften der Natur widerstreitende Prinzipien zugrunde, wie Einheit und Polarität, Analogie und Unterschied, Potenz und Metamorphose. Die romantischen Naturforscher suchen die Einheit von Wissenschaft, Natur und Leben. Folgerichtig sehen sie auch eine geschichtlich gewordene Abhängigkeit von Kultur und Natur, woraus eine besondere Verantwortung des Menschen für die Natur abgeleitet wird. Novalis sieht den Menschen dazu berufen, die Erde zu bilden und damit die verlorengegangene Harmonie des Menschen mit der Natur wieder zu erringen. "Nur die Dichter haben es gefühlt, was die Natur den Menschen sein kann...", so Novalis in "Die Lehrlinge zu Saїs".

Entdeckungen auf dem Gebiet der Elektrizität lösen am Ende des 18. Jahrhunderts neue grundlegende Fragen nach einer allen Dingen und Lebewesen innewohnenden Kraft aus, für deren Ursprung man im Rahmen der bisherigen Naturforschung keine Erklärung hatte. Gleichwohl musste es sie geben, wenn zwei Körper, ohne sich zu berühren, voneinander beeinflusst wurden. So wird Galvani berühmt durch sein Experiment, einen Froschschenkel zucken zu lassen, indem man ihn mit zwei unterschiedlichen Metallen in Berührung bringt. Während Galvani diesen Vorgang als tierische Elektrizität interpretiert, die allen Lebewesen innewohne, wertet der in Jena acht Jahre lebende und den Romantikern verbundene Physiker Johann Wilhelm Ritter die galvanischen Erscheinungen als chemische Reaktion. Die Entdeckung des Zusammenhangs von chemischen und elektrischen Prozessen macht ihn zum Begründer der Elektrochemie. Ritter gilt der Fachwelt als großer Physiker, freundschaftlich ist er Novalis und Friedrich Schlegel verbunden, häufig verkehrt er mit Goethe. Die Frühromantiker versuchen, die Erkenntnisse Ritters auf andere Naturvorgänge zu übertragen, entweder sei alles Galvanismus oder nichts Galvanismus, meint Novalis in der Encyklopaedie.

Vermutlich war es Goethe, der das Interesse Ritters auf das Gebiet der damaligen Optik – auf die Physik der Farben und des Lichts – gelenkt hat. Gemeinsamkeiten beider bei der Betrachtung der Farbenoptik bestanden anfangs in der naturphilosophischen Reflexion. Doch Ritter verfolgte eine andere Arbeitsweise als Goethe, er stellte den experimentellen Befund an den Anfang, ob er mit Licht, Wärme, Magnetismus oder Elektrizität experimentiert. Seine Experimente bestärken ihn in seiner Überzeugung, die gesamte Natur sei polar und symmetrisch aufgebaut. So spekuliert er über Zusammenhänge der Lichtzerlegung und der Elektrolyse, dass es einer größeren faktischen Untersuchung bedürfe, um die Polarität in der Chemie, im Magnetismus oder der Wärme aufzuzeigen (Erlanger Literaturzeitung 1801). Die Entdeckung der Wärmestrahlen im nicht sichtbaren Bereich des Farbenspektrums bestärkte Ritters dualistische Weltanschauung, die er mit dem Kreis der Jenaer Frühromantik teilte. Wenn die Natur aus gegensätzlichen Polen besteht, müsse es notwendigerweise eine äquivalente Strahlung am entgegengesetzten Ende des Farbspektrums außerhalb des violetten Bereichs geben.

Insofern sind romantische Naturforschung und Naturphilosophie nicht voneinander zu trennen. Experimentelle Ergebnisse werden zu weltanschauliche Zusammenhängen verallgemeinert und philosophische Annahmen dienen der Erklärung natürlicher Erscheinungen. So meint Novalis, "... in allen Entwicklungen gehen Teilungen, Zergliederungen vor, die man bequem mit den Brechungen des Lichtstrahls vergleichen kann." (Die Lehrlinge zu Saїs)